Netzlos

Wir starten am Dienstag morgen alle ganz entspannt in der kleinen Herberge. Lali und ich werden vom Tageslicht geweckt, gehen kurz in den Garten und genießen dann ein ausgedehntes Frühstück mit den anderen. (Also, sehr viel Weißbrot mit sehr viel abgepackter Marmelade). Sagte ich alle ? Der gestresste deutsche Geschäftsmann hat sich einen Wecker auf 6 gestellt und düst um 6:30 los, ohne Frühstück. Chapeau, nach 2 Flaschen Wein könnte ich das nicht. 

Wir bummeln gegen 8 los und genießen beide diesen schönen Streckenabschnitt. Wieder treffen wir eine ganze Zeit niemanden, Lali kann 98% der 20km ohne Leine laufen. Breite Feldwege, man kann gucken soweit das Auge reicht und es geht immer nur leicht hoch oder runter. Gegen Mittag treffen wir alte Bekannte, den anhänglichen Italiener und einen netten Amerikaner samt Begleitung den wir schon oft getroffen haben. Heute sind die aber irgendwie alle langsamer als wir, komisch… Die Sonne scheint den ganzen Tag von wolkenlosen Himmel, es bleibt wegen des Windes aber recht kühl, gefühlte 5 Grad. Wieso so viele Pilger diesen Streckenabschnitt überspringen und den Bus nehmen kann ich absolut nicht nachvollziehen. Es ist einfach herrlich alleine durch die unendlichen Weiten zu laufen, nichts anderes zu tun als einen Schritt vor den anderen zu setzen.
Eine entspannte Mittagspause machen wir im einzigen Ort der heute auf der Strecke liegt. In der netten Bar gibts für 2,80€ einen Tee, ein Stück Kuchen und eine Tasse Brühe gratis, kann man nicht meckern. Der Weg wird danach schmaler, auf kleinen Pfaden geht es ein wenig bergauf. Wir treffen ein Paar aus Belgien, welches erst gestern losgelaufen ist. Mit WINZIGEN Rucksäcken, sie haben  aber Zelt und Gaskocher dabei und wollen durchgängig Campen. Brrr 🥶. Die sind definitiv mutiger als ich. Der Weg mündet in eine kleine Straße, die windet sich noch um ein paar Ecken und durch die Ruinen eines uralten Pilgerhospitals, beeindruckend anzuschauen.
Ab da gehts Schnur geradeaus eine Art Allee entlang, kilometerweit. Vor uns der Blick auf einen kleinen freistehenden Berg, obendrauf eine Burgruine, unten drunter unser Stop für heute. Der will und will nicht näher kommen. So schnurgerade Strecken sind echt gemein für den Kopf, Lali hat auch keine Lust mehr und lässt die Route hängen. Als wir ankommen freue ich mich aber über das hübsche Hostel, wieder offene Balken und viel Licht von oben, Garten und Terrasse sind quasi in die Ruinen des Nachbarhauses gebaut. Lali darf hier ganz normal mit in den Schlafsaal, kostet aber 7€ extra, plus Abendbrot und Frühstück und Wäsche, Zack 40€. Natürlich darf der Hund nicht aufs Bett. Würde ich natürlich auch nie machen. 
Um eine ihrer Pfoten mache ich mir ein bisschen Sorgen, es schneit nicht weh zu tun, ist aber ein kleiner Riss drin. Ab heute Creme ich 2x am Tag, einmal mit Bepanthen. Zu uns gesellen sich bald Italiener, Amerikaner und co - alle sind ganz grün im Gesicht und haben dann keine gute Nacht. Sie waren alle im Hostel gegenüber meinem letzte Nacht und haben sich ne schöne Lebensmittelvergiftung gefangen. Man bleibe mir fern! 
Witzig hier: irgendwann geht im Schlafsaal das Licht an, ab 21:30 läuft Kirchenmusik, um 21:50 gehen alle Lichter aus. Es wird gefälligst geschlafen!!
Am nächsten Morgen Punkt 6:45 - BÄM, Licht an, Kirchengedudel an, STEHT GEFÄLLIGST AUF! Es ist noch dunkel draußen und Lali und ich blinzeln uns aus kleinen Augen an. 
Ein schnelles Frühstück später sind wir gegen 7:30 bei -2 Grad in der Dämmerung auf der Strecke - ganz alleine, wir sehen die Sonne höher steigen und tun es ihr gleich, es gilt einen Berg zu erklimmen. Oben angekommen werden wir mit fetter Aussicht und 15 min ganz für uns alleine belohnt, ehe uns die nächsten Pilger folgen. Ab 10 kann ich die dicke Jacke und das Stirnband ausziehen, mittags machen wir eine lange Pause auf der Terrasse einer Bar. Hier kürze ich meine Hose und Krempel die Ärmel hoch - richtig geil warm! Und ratet wer uns auf der Terrasse erwartet? Gestresster deutscher Geschäftsmann. Er hat mittlerweile 2 Blasen und wirft gerade die erste IBU ein, zeigt mir seine Excel-Datei mit den Streckenabschnitten die er geplant hat und eilt bald wieder von dannen. 16 km will er heute noch machen, hui. Ich schenke ihm ein paar Stücke Tape um seine Blasen anzukleben, das funktioniert tendenziell besser als Blasenpflaster, die fallen beim Laufen schnell wieder ab. Mal gucken ob und wann wir den nochmal wiedersehen, wenn er seiner Excelplanung folgt - gar nicht. 

Lali und ich starten auf die letzten 8km und ich bekomme nun doch eine Idee davon, warum Leute diesen Abschnitt skippen. Wir wandern weiter Schnurgerade durch die Ebene, wie auch die letzten 2 Tage absolut Schattenlos. Kein Baum, kein Strauch, wer mal muss wartet bis man genug Abstand zu allen anderen hat. Bei ca 15 Grad noch angenehm, aber man spürt jetzt schon welche Kraft die Sonne hat. Im Sommer ist das sicher kaum zu ertragen. Frau Hund hat relativ früh keine Lust mehr heute, es dauert eine Weile bis ich raffe warum: sie fängt an zu „hüten“, sobald andere Pilger relativ dicht (100m) vor oder hinter uns laufen. Dann versucht sie, mit denen vor uns Schritt zu halten, möchte aber gleichzeitig, dass die hinter uns aufholen und ich darf natürlich auch nicht zu weit weg von ihr sein. Das stresst sie tierisch und ich nehme sie an die Leine - ab da dackelt sie entspannt neben mir her, die Aufgabe habe ich ihr abgenommen. So kommen wir relativ entspannt da an wo wir jetzt sind. Das Hotel / Hostel bietet für sagenhafte 10€ ein Bett (kein Stockbett) im frisch renovierten Schlafsaal unter dem Dach. 20 Betten, aber große Dachfenster, viel Licht und Ausblick auf 10,15 Störche auf dem Dach der Kirche direkt gegenüber. Dazu ein ebenso frisch renoviertes, sauberes Bad und ich zahle keinen Cent extra für den Hund. Ich libs hier! 
Jetzt gehen wir nur noch Empfang jagen, damit ich die Hostels für die kommenden 3,4 Nächte reservieren kann. Statt Restday werden wir morgen nur 10 und übermorgen 15km spazieren gehen, so laufen wir keine Gefahr an den vollen Ostertagen in einer der großen Städte zu sein. 
Bis morgen! 😊


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