Rein in den Strom

So. Ich schulde diesem Reisetagebuch ganze 4 Tage. Pardon! Irgendwie war mir nach dem nervigen alles 3 mal schreiben nicht mehr so danach… und das WLAN war auch bis gestern Abend bescheiden bis nicht vorhanden. Es ist Samstag Nachmittag. Wir starten bei Mittwoch Morgen 😅 


Als ich aufwache, regnet es vor dem Fenster. Yay. Das Frühstück entschuldigt allerdings dafür, es ist riesig! Der kaputte Koreaner schläft noch, auch, als ich später gegen halb 10 das Hostel verlasse. Ich genieße geröstetes Baguette, frischen Osaft, Obst und gekochte Eier. Davon liegen so viele auf dem Tisch, dass ich welche für Lali mitgehen lasse 😅 Gestärkt, mit frischem Futter für Lali und bester Laune starten wir also in den Regen.

An dieser Stelle eine ganz klare Empfehlung: solltet ihr euch jemals den Regenponcho fürs Wandern, inkl. Rucksackabdeckung, bei Decathlon kaufen wollen, lasst es bleiben. Das Ding war gar nicht mal so günstig und ist dafür aber auch immerhin richtig kacke. Die Passform ist ne -1/10, er flattert bei jeder Böhe wie eine Fahne im Wind, bevorzugt von hinten nach vorne rüber über meinen Kopf. Trockene Haare und nasse Sachen für alle, top Idee. 


Egal, wir wandern erstmal die Straße entlang aus dem Ort heraus. Das geht dann erstmal ein paar Kilometer so weiter, ehe ich mich, wie immer, für die Nebenstrecke entscheide. Ab dort sind wir links und rechts teils meterhoch eingekesselt von Mauern, Bäumen, Wurzeln. Alles ist überwuchert, grün und lebendig. Die Luft ist so feucht, dass alles nass wird, aber regnen tut es nicht mehr. Außer Vogelgezwitscher und hier und da dem Rascheln von irgendwas größerem im Gebüsch hört man gar nichts. Ab und an sieht man mal eine Kuh in der Ferne, aber meistens bin ich damit beschäftigt auf meine Füße zu gucken - es geht konstant bergab, der Boden besteht oft aus großen, nassen, moosüberwucherten Felsen. Ich Summe mein „brich dir nicht die Haxen“ Mantra vor mich hin und lache über Lalis genervten Gesichtsausdruck, während sie elegant 200m vor mir den nächsten Abhang herunterhüpft. 


Kilometerlang laufen wir alleine. Irgendwann wird der Weg zur Straße, diese schlängelt sich durch Weiden, Wäldchen und an einzelnen Gehöften vorbei, viele wie immer verlassen. Könnte auch Hessen sein hier. 😅 Ich winke der ein oder anderen Kuh und freue mich über jeden Sonnenstrahl der es durch die Wolken schafft. Linke Hand taucht irgendwann ein kleiner Hof auf, dessen Garten mit der spanischer Variante des deutschen Gartenzwergs reich bestückt wurde - Deko-Kühe in jeglicher Variante. Am besten finde ich 2 lebensgroße 3D Prints die vor einem klassischen Karren „gespannt“ sind. Aus der richtigen Perspektive ist nicht auszumachen, dass sie nicht echt sind 😅 Eine freundliche, ältere Spanierin bittet mich mit Hund herein in das Steinhaus. In einem kleinen Zimmer weiter hinten steht ein großer Tisch, ein Feuer flackert  im Ofen in der Ecke und ein spanischer Pilgerer trinkt einen Kaffee. Ich bekomme einen Tee und ein Stück Kuchen und erfahre als ich bezahle will, dass das hier eine Donativo ist, ich also geben kann, wie viel ich will. Ich lasse all mein Kleingeld da und wir wandern auf dem Sträßchen weiter. Ein Auto haben wir hier übrigens noch nicht getroffen, Lali ist leinenlos. 

Nach einer halben Stunde treffen wir wieder auf den Hauptweg, ab hier geht es entlang einer etwas größeren Landstraße. Der Fußweg ist aber immer einige Meter höher, wir haben also Graben und Böschung zwischen uns und den wenigen Autos und Lali kann weiter vor sich hintüddeln. Allerdings muss sie ihren Mantel wieder anziehen und findet das gar nicht cool. Der April packt sein ganzes Können aus, es schüttet alle 5 min wie aus Eimern, keine 2 Minuten später strahlender Sonnenschein, so geht das bis in den nächsten Ort hinein.


Wir haben es nach Sarria geschafft. Ab hier sind es noch 108km bis Santiago, ab hier muss man seinen Pilgerpass 2x am Tag stempeln lassen, wenn man eine Pilgerurkunde haben möchte und ab hier starten gute 80% aller Pilgerer. Der Wanderführer sagt, ab hier wird’s touristischer, kommerzieller, deutlich voller. „Aber wir lassen uns nicht beirren, laufen unseren eigenen Camino und bleiben ganz bei uns.“ Ja nee, ist klar, gar kein Problem zwischen 200 spanischen und Koreanischen Tages-Pilgerern ohne Rucksäcke und mit Regenschirm. Ich hasse Menschen 😂 


Der Weg durch die zugegebenermaßen schöne Altstadt ist schnell gemacht aber fies, es geht wahlweise Treppen oder Kopfsteinpflaster steil bergauf. Es ist nach Mittag und die Stadt deswegen leer, anhand der Unmengen an Herbergen, Restaurants und co kann man aber erahnen, wie voll es hier morgens und abends ist. Am Ortsausgang angekommen erkenne ich weiter oben beim Fotopoint mit Stadt-Namen ein bekanntes Gesicht! Amy, eine nette, mittelalte Amerikanerin kennen wir schon seit einigen 100km und haben sie immer mal wieder getroffen. Sie hat wilde Pläne, will heute noch Liz einholen, die ich auch kenne. Dafür muss sie ab hier noch 28km laufen - wir haben schon knappe 15 in den Beinen. Viel Spaß. 

Gemeinsam laufen wir aus dem Ort hinaus, an einem örtlichen Markt vorbei. Dort gibts riesige Töpfe voll der örtlichen (Galizischen) Spezialität „Pulpo“. Krake. In 1000 Zubereitungdvarianten. Ich muss gestehen, ob ich das probieren werde weiß ich noch nicht. Für uns gehts von Asphalt wieder auf einen sandigen Wanderweg und - endlich mal wieder - steil bergauf. Mein Wasser ist leer und der letzte Brunnen war tot, schade Schokolade. Mit trockenem Mund nehme ich die Steigung also in Angriff, Lali ist natürlich schon 3 mal oben als wir es 20 min später geschafft haben. Wir passieren einen Bahnübergang, ab hier geht es durch Felder und Wiesen. Rechts von uns tauchen aus dem hohen Gras auf einmal 3 grooooooße Köpfe auf, ein hellbrauner, ein getigerter und ein dunkelbrauner. Die Hütehunde machen Mittagsschlaf und wir haben sind nicht bemerkt - und sie Lali auch nicht, die verschwindet aus deren Sicht nämlich genau hinter dem hohen Gras. Glück gehabt! Die Köpfe gingen vermutlich nur noch, weil sie sie gewittert haben.


Für mich und Lali ist der Tag kurze Zeit später schon zu Ende und wir verabschieden uns von Amy. Wir werden sie nicht wiedersehen und mich überkommt eine Traurigkeit bei all den Weggefährten die wir ziehen lassen. In der kleine Herberge abseits des Weges angekommen beziehen wir den Aufenthaltsraum 😅 Der Besitzer hat einfach aus dem Schlafsaal nebenan ein Bett hier herüber geschoben, nimmt mir 20 statt 12€ ab und macht die Schiebetür zwischen den beiden Zimmern zu. So geht das also mit dem Hunde Zimmer. Die Sonne scheint draußen, der Garten ist schön und Lali und ich dösen vor uns hin, als wir am späten Nachmittag hinter besagter Schiebetür eine bekannte Stimme hören. 

Marion, unsere Lieblingsfinnin! Lali erkennt die direkt an der Stimme und versucht hysterisch die Schiebetür zu öffnen. Ich freue mich genauso, dachte ich doch, sie wäre längst vor uns davon gelaufen. Sie hat sich aber ausgerechnet, dass sie viel zu früh in Santiago sein wird und wollte da nicht tagelang herumhängen, hat also 2 Tage einen Spaziergang gemacht, et voila. Gemeinsam gibt es ein nettes Abendessen im überdachten Außenbereich, ohne sie wären Lali und ich heute alleine hier gewesen. 


Donnerstag morgen stehen wir gemeinsam auf und bekommen unser 3€ Frühstück. Jede einen abgepackten Muffin und einen Kaffee. Prost. Im wunderschönen Sonnenaufgang marschieren wir über die Wiese des Hostels los, ein extra gemähter Pfad führt zurück auf den Hauptweg. Ab hier zeigt sich Galizien von seiner wunderschönsten Seite. Es ist morgens noch super kalt, aber da Marion und ich ein paar Kilometer zusammen laufen wollen bevor wir uns endgültig trennen wird mir sehr schnell sehr warm 😅 die Gute hat 33km geplant für heute und drückt auf die Tube. Es geht im regelmäßigen Wechsel bergauf und bergab, genauso oft Wechseln wir zwischen Pfad und Straße. Autos treffen wir selten bis keine, dafür einige andere Pilgerer. Es ist aber noch früh und wir ziehen fast alle ab. (Reminder an mich: diese Kondition würde ich zu Hause bitte gerne behalten, danke. Wird eh nix mit 41h Bürojob.)


Links und rechts von uns sieht es fast aus wie in Schweden, nur mit den Hügeln des Alpenvorlandes. Überall Hellbraune Kühe, satt grüne Wiesen, Wälder. Immer wieder kreuzen wir kleine Flüsse oder sie laufen quasi über unseren Weg. Alle Weiden sind mit Steinmäuerchen abgegrenzt, kleine Pflänzchen wachsen darauf und recken weiße, Liliane und Gelbe blühten in die Morgensonne. Das wir nun auf dem kommerziellen Teil des Weges angekommen sind merkt man trotz der Schönheit um uns herum sehr schnell. Spätestens nach einem Kilometer erwartet uns immer die nächste Ortschaft, bestehend aus 3 Häusern, mindestens eine davon eine Bar/Restaurant. Dazu alle 500m irgendwo ein Unterstand mit 2,3 Automaten drin, hier gibt es Snacks und Wasser. Unterwegs lernen wir Sky aus Australien kennen, geboren in Korea, wohnhaft in München zwecks Arbeit. Sie läuft gemeinsam mit Francesca, einer Italienerin, wir unterhalten uns alle nett und Lali ist natürlich wieder der Star. Beide halten unser Tempo eine Weile ehe sie uns ziehen lassen. Irgendwo zwischen 2 Dörfern steht er dann, der denkwürdige Meilenstein mit den 100,00km drauf. Uff, was fürn Ding. Irgendwie wenig festlich hier und irgendwie doch innerlich eine ziemliche Marke.


Nachdem wir in wahnsinniger Geschwindigkeit die ersten knapp 8 km zurückgelegt haben laufen wir überraschend an einem donativo- Plätzchen vorbei. Durch ein großes, altes Holztor geht es unter dem alten Haus durch auf eine Terrasse mit kleinem Garten. Im Durchgang stehen allerlei frisch gemachte Köstlichkeiten unter Abdeckhauben: Pfannkuchen mit Marmelade, geröstetes Brot mit Tomaten oder Eiern, Tortilla, Kuchen, Obst und diverses mehr. Wichtig: eine riesige Schüssel warmes, Schmalzgebäckartiges Zeug. Geil! Ich schaufle mir freimütig den Teller voll und wir genießen ein richtiges Frühstück! Lali bekommt ihre tägliche Tortilla und in der Sonne gehts mit Jacke an und Tee einigermaßen. Sky und Francesca Gesellen sich zu uns und wenig später noch eine Litauerin die ich auch schon einige Male gesehen habe. Sie läuft heute mit einem Portugiesen den ich nicht kenne. Es wird ein kurzes, nettes Beisammensein und dann überkommt mich der Abschiedsschmerz - Marion muss weiter und ich mache, sie nach jeder Mahlzeit für sie, mit Lali noch eine halbe Stunde Ruhepause. Auch alle anderen verschieden sich und während Marion Tränen verdrückt spare ich mir die für später. Sie war unsere häufigste Weggefährtin…


Als Lali und ich schließlich aufbrechen ist es merklich voller auf dem Weg. Also, richtig doll voller. Die Landschaft bleibt unverändert schön, die Sonne scheint und es ist spürbar wärmer als heute früh. Aber nun ist das wandern wie ein Spaziergang im Hamburger Stadtpark am Samstag Vormittag bei Sonnenschein. Nur das alle in eine Richtung laufen. Und der Weg oft nicht breit genug ist, um zu überholen oder sich überholen zu lassen. Ich versuche durchzuatmen und mir wird bewusst, dass es ab hier wieder nur noch wir beide sind, das Stinki und ich. Klar, wir werden massig Leute treffen, aber all unsere mehrtägigen Weggefährten, alle die wir schon „länger“ kannten, laufen in dieser Tage nach Santiago oder sind es bereits. Auch für uns rieseln natürlich fleißig die Kilometer, aber auf den letzten Metern werden wir uns immer auf maximal 20 am Tag beschränken. 


Wir laufen immer steiler bergab und schließlich eröffnet sich der Blick auf einen See. Einen Stausee genau genommen. Mein Wanderführer erzählt, dass sie in den 60ern das ursprüngliche, Jahrhunderte alte Dorf hier zu Gunsten des Talsperre geflutet haben. Lediglich die beiden Kirchen haben sie vorher Stein für Stein ab- und weiter oben im Ersatzdorf wieder aufgebaut. Alle Bewohner wurden umgesiedelt. Schade eigentlich denke ich mir später, denn die beiden Kirchen in dem Städchen (und das ihnen nachempfundene Rathaus) sind wirklich schön. Kann man vom Rest des Ortes im 60er Jahre Charme und voll mit riesigen Herbergen, Busbahnhof & co nicht behaupten… über eine große Brücke und dann viele Stufen geht es hoch in die Stadt, dann steil nach oben bis wir unsere heutige Herberge erreichen. Für 30€ Einzelzimmer mit geteiltem Bad gegenüber, Lali bekommt ein eigenes Körbchen. (😅 als ob sie da nachts drin schlafen würde! Aber tagsüber findet sie es gut). Nach dem übliche Nachmittags Ablauf und ein bisschen chill - time laufen wir kurz rüber zum Supermarkt, Nudeln, Pesto und Gemüse shoppen. (Supermarkt= 25qm) Ich hab so ein Verlangen nach Gemüse… das ist im hiesigen Pilger-Menü eher selten enthalten und wenn, dann tendenziell in Deko-Menge. 


Als ich aus dem Supermarkt komme sehe ich gegenüber unter einem Säulenbogen ein bekanntes Gesicht! Noch eine von den Amerikanerinnen aus Woche 2, ihren Namen weiß ich leider nicht mehr 🙈ich setze mich kurz dazu und trinke noch einen Tee, das deutsche Paar von neulich kommt auch noch um die Ecke und dazu. Nach meinem Tee sehe ich zu das ich Land gewinne, Hunger! Zurück im Hostel bereite ich mir daher ein delikates Abendmahl zu, die Tochter des schätzungsweise 85 jährigen, dauer-strahlendem Betreibers guckt um die Ecke, weil es so gut riecht 😊 

Nach ungefähr einem Kilo Gemüse & 250 Gramm Nudeln wanke ich Richtung Bett. 

Als ich spät abends nochmal in Bad gehe erwartet mich dort ein haariger Männerhintern - kann man mal machen, bei geöffneter Tür im stehen pinkel. Sexy und lasziv. Nicht. Der Typ der zum haar-Hintern gehört entschuldigt sich peinlich berührt und zieht dann mit diversen anderen aus den Einzelzimmern neben mir von dannen. Alle schätzungsweise 40 , alle mit Handtasche und Gepäcktransport und alle heute losgelaufen. Statt weiterlaufen ist bei denen jetzt volllaufen angesagt, denn ich werde nachts wach als jemand versucht mit seinem Schlüssel meine Zimmertür aufzumachen. Und dann die nebenan. Und dann die daneben. Dazu lautes fluchen auf spanisch, hysterisches Lachen, Kreischen und verdächtige Geräusche aus dem Bad, die ganze Palette. Schön, so ein Einzelzimmer mit Pappwänden. 


Am Freitag bin ich um 6:30 wach, wälze mich noch ein bisschen hin und her und beschließe dann, dies ist ein Zeichen. Bloß weg von den besoffenen Massen. Um 7:15 sind wir unterwegs, die Straßen der Stadt hinunter an Reisebussen vorbei, die gerade mit Koffern vollgelaufen werden. Über eine Fußgängerbrücke geht es über einen Seitenarm des Stausees, danach zeigen die Wegweiser 2 Varianten. Marion hat mir gestern Abend geschrieben welche sie genommen hat und wir machen es ihr nach.

Ruhe. Grauer Himmel. Grüne Bäume. Blühende Apfelbäume. Alles voller Moos, die Luft wieder so feucht, das Haare und Fell nass werden. Der Weg steinig und ordentlich bergan, mal rot, mal braun. Erst 25 min später überholt uns der erste andere flotte Pilgerer. Am Ende der Steigung gibt der Wald den Blick frei auf Felder, Wiesen und andere Hügel in der Ferne. Das ist ein paar Minuten echt hübsch, dann treffen wir auf eine größere Landstraße die wir 2 mal queren müssen. Nach dem zweiten Mal laufen wir ein ganzes Stück an einer Hühnermast-Anlage entlang und ich sag’s euch, der Geruch war wirklich atemberaubend 🤢 selbst Lali fand’s doll… hinter der Farm weichen wir ein Stück weiter von der Landstraße ab, ab hier geht es im auf-und ab Wechsel durch Wäldchen und Wiesen. Ein spanisches Paar Mitte 50 überholt uns. Sie mit lockigem Schopf, die Miene verkniffen, Jacke um die Hüfte, stark geschminkt, 20kg zu viel und kein Gepäck. Er 10cm größer als ich, kreisrunder Haarausfall, mini Rucksack inkl. 2 Regencapes auf dem Rücken und, ganz wichtig, das Handy am Ohr. In selbiges bellt er in einer Tour Befehle, das verstehe sogar ich, ohne Sprachkenntnisse die über hallo, Tschüß, bitte, danke, kleiner Hund und Tortilla hinausgehen. Die beiden laufen zu meinem Leidwesen in den nächsten 15 min immer in Hörweite.

Doch dann werde ich Zeugin einer wunderbaren Szene: am Wegstein vor dem nächsten Dorf hat man die Wahl zwischen wieder an der Straße oder durchs Dorf laufen. Danach treffen sich beide Wege wieder, es ist nur ein Unterschied von wenigen hundert Metern. Ihre App scheint ihr das nicht zu sagen, auf jeden Fall steht sie genervt und verwirrt neben dem Wegweiser, zoomt auf der Karte auf ihrem Handy herum und gestikuliert wild in Richtung ihres Mackers. Der steht völlig unbeeindruckt daneben und bellt weiter irgendwas in sein Telefon. Nach einer Minute reicht es ihr, sie macht einen erstaunlich schnellen Schritt auf ihn zu, reißt ihm das Handy vom Ohr und in nächsten Moment fliegt selbiges hinter besagten Wegstein aufs Feld. 


Ich kann mich leider absolut gar nicht beherrschen und fange in 15 Meter Entfernung schallend an zu lachen 😂 Die Olle straft mich mit einem bösen Blick, er ist mit rot anlaufen beschäftigt und ich sehe zu, dass ich den Umweg durchs Dorf nehme (wollte ich eh) und Land gewinne. Wenn meine Nase mich nicht täuscht… ich könnte schwören, dass Feld ist frisch gedüngt. Nach diesem schönen Sketch am Morgen meldet sich langsam mein Magen, gute 2 Stunden sind rum.


Zum Glück gibts 30 Meter weiter ein Lokal, welches (wie seit 2 Tagen so viele…) eine bebilderte Karte an den Weg gestellt hat. Lali und ich betreten den riesigen Gastraum und sind damit Nummer 3 &4 neben der Bedienung und der Dame in der Küche. Ich bestelle das gleiche Frühstück wie immer, das hier einen Euro mehr kostet als sonst. Fast forward, 15 min später. Das Lokal ist voll bis unters Dach, die Schlange an der Theke zum bestellen geht durch den Gastraum bis nach draußen. Die allerwenigsten haben einen Rucksack dabei, der mehr als eine Flasche Wasser und eine Packung Blasenpflaster fassen würde.

Bah, immer diese Pseudopilger, es ekelt mich an! 🤪 nein, Spaß beiseite, soll jede/r seinen Camino gehen. Hat auch nicht jede mal eben 7 Wochen Zeit. Ich mochte den leereren auf jeden Fall lieber. 


Lali und ich sehen zu, dass wir Land gewinnen, die Massen essen ja gerade hinter uns 😅 der Plan geht leider nur so halb auf, aus dem Dorf raus treffen wir wieder auf den Hauptweg und ab hier sind wir eine große, glückliche Festivalcrew die in Richtung Mainstage läuft. So fühlt es sich zumindest an. Nach einem kurzen Stück auf einer kleineren Straße biegt der Weg nach rechts ab und steigt dann überraschend steil an. Diesmal allerdings auf gefühlten 200m Breite, hier kann überholen wer will. Wir wollen und schwingen uns leichtfüßig den Hügel hoch. Ok, Lüge. Lali schwingt sich leichtfüßig den Hügel hoch. Ich keuche in Tippelschritten hinterher und der Schweiß tropft mir von der Nase, herrlitsch! 


Fast ganz oben teilt sich der Weg wieder, nach rechts in eben und nach links in weiter bergauf. Massen sind bekanntlich träge, wir nehmen also ohne zu zögern lieber die Aufwärtsvariante. Hier laufen wir auf einmal angenehm auf Gras und um uns herum blühen gelbe Büsche. Dann erhebt sich ein Wall direkt vor uns und auf einem spanischen Hinweisschild kann ich entziffern, dass es sich um eine vorchristliche Siedlung handelt. Es sind noch die Grundmauern des Walls, sowie die einiger Häuser (?) und anderer Gebäude zu erkennen und ziemlich beeindrucken. Und - es ist noch genau ein anderer Pilgerer hier. Alle anderen sieht man, wenn man auf den Rand des Walls klettert, weiter unten vor sich hin spazieren. Kurzes durchatmen, Lali nimmt sich noch einen Stock to Go mit und dann gehts wieder abwärts in den Strom. 20 min später sind wir dann eigentlich schon da für heute… aber das kann’s nicht sein. Es ist 10:15. Ich betrete die Herberge und versuche der netten Betreiberin klar zu machen, dass ich nicht mein reserviertes Bett haben will, sondern wissen möchte, ob sie sauer wäre wenn wir weitergehen. Sie versteht irgendwann und tätschelt mir den Arm und Lali den Kopf und wünscht uns Buen Camino. Wir stolpern also zurück auf die kleine Straße, die bleibt es auch für den Rest unseres heutigen Weges. An der linken Seite ist ein Fußweg aufgeschüttet, einen Kantstein gibt es aber nicht. Ich versuche es positiv zu sehen, wir üben heute das „nicht auf die Straße gehen“ ohne Leine. Ich kann mich im Moment zu 98% auf Lali verlassen und hier kommt höchstens alle 30 min ein Auto, welches ich vorher weithin hören kann. 


Unter Sonnenschein laufen wir also entlang der kleinen Straße bergauf und bergab und mir fällt auf einmal auf, dass alle weg sind. Huch ? Um uns herum in Sichtweite sind vielleicht noch 5 Leute. Ich telefoniere beim laufen mal wieder Hostels ab, finde ein Landhotel das uns nehmen würde, stelle dann aber fest das die sehr weit ab der Strecke sind und storniere direkt wieder. Versuche mein Glück nochmal auf Booking und siehe da, eine private Unterkunft mit 4 Zimmern bietet 39€ inkl Frühstück und Wäsche, nehmen wir! Schnapper… 🙄🤷🏽‍♀️ Gesagt, gebucht, gelaufen, eine halbe Stunde später sind wir in dem kleinen Dorf und haben damit doch wieder knappe 20 km gerissen. Die Betreiberin ist jünger als ich und spricht ein paar Brocken englisch, findet Lali toll und hat 2 Pferde auf der Wiese hinter dem Haus stehen. Wir verstehen uns 😅 für Lali steht in dem kleinen gemütlichen Zimmer schon ein Körbchen und ein Wassernapf bereit. Wäsche waschen, herumhängen, abends meldet sich der Hunger. Angeblich 5 min bis zum einzigen Restaurant in dem langgezogenen Ort. Nach 5 min laufen frage ich Tante Google, die sagt „ noch 5 min“. Naja fast. Um die nächste Ecke blicke ich erst in den Himmel ( bedrohlich pechschwarze Wolken türmen sich dort auf, meine Wäsche hängt noch draußen!) und dann auf die Straße vor uns. Dort zanken sich gerade 4 große Hofhunde um irgendwas essbares, alle laufen frei. Das ist ein Zeichen, Zeit umzudrehen. 


Geld sparen ist ja eh dringend angesagt - eine halbe Packung Nudeln, ein halbes Glässchen Pesto und eine halbe Paprika, ich muss nicht verhungern. Während ich Essen mache betreten ein junger (20) Brasilianer und sein Vater die Unterkunft, wir sind heute nur zu dritt. Er ist nett und möchte ganz viel über Deutschland wissen, nach dem Essen und dem üblichen Austausch von Insta-Profilen verziehe ich mich aber mit Lali ins Bett. Irgendwas an meinem Fenster tropft komisch und ich wage einen Blick nach draußen. Es regnet so unfassbar doll, monsoonartig ist das! Ok, das Gewitter auf Bali war doller, aber das war warm und ich konnte drin tanzen! Für heute bin ich mal wieder froh in einem beheizten Raum mit ordentlichem Bett zu liegen… 


So - meine Finger sind wundgetippt 😅 Das Update zu heute und morgen, also zum Wochenende, gibts dann morgen Abend, versprochen! Kurz noch Daumen drücken bitte, dass das letzte Futterpaket schnell war. Wenn es noch nicht da ist warten wir eventuell bis Dienstag darauf und Lali müsste morgen von Tortilla leben. Ohne Futter wäre der Weg nach Hause nicht so cool… 




Kommentare

  1. Schön zu hören das es euch gut geht. Auf die letzten Kilometer :-)

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  2. Es hat wieder Spaß gemacht, Eure Erlebnisse nachzulesen. - Frage: Wie alt ist eine mittelalte Amerikanerin? ;-))
    So langsam kann man doch etwas Wehmut rauslesen, Eure Tour neigt sich langsam dem Ende zu - noch schöne Restkilometer und alles Gute für Euch von Carsten

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  3. Mehr davon :-) Haltet durch - weiterhin alles Gute für Eure Tour *Daumen weiter drück*

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