Wir starten am Montag morgen ausgeschlafen und nach viel Brot und wenig Marmelade auf die Strecke. Es geht direkt hinter dem kleinen Dorf auf einen Pfad und ab hier in der Morgensonne steil bergan. Ich kann mich kaum sattsehen an der Aussicht und mache 100e Fotos mit dem Handy und dem Kopf 🧠😅 Die Vegetation verändert sich langsam aber sicher, mir fällt auf einmal auf das es wieder richtige, echte Bäume gibt. Hoch und breit, nicht meine Kopfhöhe und so, dass sich bequem 5 Exemplare hinter mir verstecken könnten. Nach einer guten Stunde wabert uns auf einmal eine dicke Nebelwand entgegen - wir verlassen sie heute auch nur noch selten. Vor uns taucht der erste Ort aus dem Nebel auf.
Das kleine Örtchen ist super schön, alle Häuser gut gepflegt und aus Schiefer. Es ist aber auch super leer, das Restaurant noch geschlossen, der Touri-Shop auch und im Nebel wird das ganze zum Glück gar nicht gruselig. 👻 Brr, schnell weg hier. Wir laufen wenige Meter entlang einer Landstraße und dann steil den Hang hinauf. Ab hier laufen wir einige Kilometer immer parallel zur Straße, allerdings immer so weit oberhalb, dass wir sie selten sehen können. Ab und an kann man mal ein Auto hören, ansonsten wandern wir bergauf und bergab durch die mystische Waldlandschaft. Alle 20 Meter geht es steil hoch und runter, gar nicht mal nicht anstrengend.
Vor uns hören wir auf einmal eine ganze Menge Stimmen und aus dem Nebel taucht eine große Gruppe SchülerInnen auf. Mindestens eine Schulklasse voll 15,16 jähriger Teenager, mit Rucksäcken und Isomatten auf dem Rücken, versammeln sich hier um ihren Lehrer der scheinbar die Eröffnungsrede hält. Das erklärt den Reisebus der eben im Ort stand. Lali wackelt völlig unbeeindruckt mitten durch, schnuppert hier und da ein einem Schuh und holt sich ansonsten eine Runde Bewunderung ab. Ich sehe zu, dass wir das Tempo erhöhen, denn mit all den schnatternden Teenagern möchte ich nicht laufen… das klappt ungefähr 15 min gut, dann legen wir eine Trinkpause ein und der Tross kommt hinter uns aus dem Nebel.
Fast den gesamten Rest des Tages laufen wir mehr oder weniger mit der Schülergruppe. Die zerstreut sich allerdings recht schnell auf gut einen Kilometer, wir müssen also nicht mit Massen laufen. Als nächstes erreichen wir ein kleines Dorf, in dem ich eigentlich heute schon bleiben wollte. Das waren dann nur 9km, Rest day und so. Aber Lali läuft super fröhlich, tobt hier und da mit einem Stock und wir sind immer noch mitten in der dicken Nebelsuppe. Es ist windig, kalt und alles ist feucht, meine Haare, der Rucksack, Lali, es tropft von den Bäumen. Also schreibe ich der netten Betreiberin eine Nachricht, dass wir lieber weiterlaufen möchten. Gesagt getan, ein Anstieg entlang der Landstraße noch und dann sind wir auf dem vorletzten Gipfel des Camino. Man kann wahnsinnige 20meter weit gucken, der Reiseführer lobt die großartige Aussicht. Wow, danke für nichts.
Nun gehts (logischerweise…) erstmal ein Stück bergab, immer neben der Landstraße. Da die mit Leitplanken von uns abgegrenzt ist und sich rechts von uns Felsen erheben, sind wir irgendwann zwischen Schülern gefangen. Ich Sachs euch - macht richtig Spaß, 20 Minuten lang zwischen 15/16 jährigen, schwitzenden Jungs zu laufen 🥳🤢🥴😅
Irgendwann wird der Weg breiter und wir befreien uns aus dem Müffel-Griff. Nun gehts durch Felder und Kuhweiden steil bergab und wir haben eine unschöne Begegnung:
Hinter mir höre ich Reifenknirschen und 5 Sekunden später schießen 2 Radfahrer mit schätzungsweise 30km/h an mir vorbei. Lali dackelt gerade 20 Meter vor mir von links nach rechts über den Weg und schnüffelt an irgendwas spannendem… mir bleibt das Herz stehen, ich brülle „Perro!“ (Hund) und der eine Raser kapiert sofort und geht in die Eisen. Der andere raffts nicht, legt dann eine Notfallbremsung hin, legt sich fast auf die Nase, hört auf zu bremsen und schlenkert stattdessen fast in eine kleine Steinmauer auf der linken Seite. Er schrabbt sein Pedal an, dann sind beide an Lali vorbei und rasen unbeeindruckt den Hügel runter. Ich frage mich mal kurz, was verkehrt ist mit einigen Menschen? Abgesehen davon, dass oben an der Straße ein eindeutiges Hinweisschild für Radfahrer ist, doch bitte die Straße zu nutzen - der Weg ist steil, geschottert, von Wasserrillen durchzogen und abgesehen von gefährlichen, flauschigen weißen Hindernissen auch immer noch voll mit Unmengen an Schülern! Wusa, aufregen bringt’s ja auch nicht. Frau Hund ist nichts passiert, ich muss also niemanden zügig umbringen und hinter der nächsten Mauer verscharren.
Für uns geht es weiter bergab, dann taucht das nächste Dorf aus dem Nebel auf. Hier werden wir von zwei kläffenden Fußhupen mit Zöpfchen auf dem Kopf empfangen, die scheinbar mit einem spanischen Pärchen laufen das wir überholen. Ob ihres nicht vorhandenen Gepäcks tippe ich auf Tagesausflügler und bin kurze Zeit ein bisschen stolz, dass ich sie mit 14 kg Gepäck auf der Steigung locker abziehen kann 🤪
Die genannte Steigung hat es in sich, 300 Höhenmeter auf einem asphaltierten Fußweg gehen im Zick Zack den Berg hoch. Also, einmal zick und einmal Zack, entsprechend steil ist es. Schon zum Anfang lichtet sich allerdings der Nebel ENDLICH und oben angekommen werden wir von der Sonne empfangen. Begleiten tun uns ein Vater-Sohn Gespann von zwei der riesigen, hellbraunen Hütehunde. Der „kleine“ reicht mir gut bis zur Mitte der Oberschenkel, ist auf jeden Fall noch ein Baby und hat gehörig Respekt vor Menschen. Sein mutmaßlicher Papa reicht mir easy bis zur Hüfte und bringt bestimmt 80kg auf die Waage. Beide sind neugierig ob der Hunde, trotten uns aber nur im höflichen Abstand hinterher und drehen vor dem Gipfel um. Oben angekommen gibts einen kleinen Belohnungs-Osaft für mich und 3 Leckerlis für Lali. Während der Hauptweg sich ab hier neben der Landstraße nach unten windet, nehmen wir die Nebenstrecke.
Die geht dankenswerterweise nach ein paar hundert Metern bergab erstmal wieder schön bergauf, schraubt sich in einer langgezogenen Kurve auf den Kamm des Berges. Dafür - keine Straße, kein Mensch, Gras- und Wanderweg. Und ein tolles Naturschauspiel: rechts von uns hängen sich die Wolken und der Nebel auf, „brechen“ wie Wellen am Kamm, man kann nur wenige Meter weit gucken. Links von uns gibt die eher niedrige Vegetation den Blick frei auf sonnige Täler und andere Berge. Hübsch!
Lali wirkt kurz müde und lässt die Rute hängen. Wir setzen uns in die Sonne auf ein Mäuerchen, genießen einen Moment den Ausblick und ich verspreche ihr Tortilla im nächsten Ort.
Gesagt getan legen wir dort eine nette Pause auf einer Terrasse ein. Die Herberge wirkt neu erbaut, Lali müsste aber in der Fahrrad Garage schlafen. Danke nein danke, Tee und Tortilla bitte. Während ich die Füße hochlege und den Tee genieße marschieren langsam wieder Schüler und mehrere Lehrer an mir vorbei. Auf dem Gipfel hatte ich sie überholt, da haben sie sich zum Lunch zusammengesammelt und ich tippe auf mindestens 2 Klassen, höre bei 47 auf zu zählen, bestimmt sind’s um die 60.
Der ein oder die andere LehrerIn bedenkt mich mit einem neidischen Grinsen, dann sind sie alle vorbei und nach ihnen folgt eine Herde Kühe. Die wird begleitet von einem belgischen Schäferhund, der sie durchs Dorf treibt. Er bemerkt Lali hinter der niedrigen Mauer der Terrasse nicht, aber Lali hat scheinbar Oberwasser. Sie hüpft auf die Mauer und bellt ihn so herzhaft an, dass er vor Schreck einen Satz zur Seite macht, kurz überlegt ob er auf uns zugehen soll und dann doch lieber schnell seiner Herde hinterher eilt. Ich müsste Lali eigentlich korrigieren, bin aber damit beschäftigt mich totzulachen. 😂
Für uns gehts nun also alleine weiter in Richtung Tal. Der Weg geht recht gerade und wenig steil mitten durch die Rinderweiden bergab, die Sonne scheint und so machen die letzten Kilometer Spaß. In dem winzigen Ort sitzen die Horden an Schülern wieder zur Nächsten Pause zusammen, wir biegen aber ab ins Hostel. Hier gibts von vornherein nur Einzelzimmer, aber auf den nächsten Kilometern kommt nichts und niemand der Lali akzeptieren würde. Für das selbe Geld wie letzte Nacht bekomme ich diesmal ein eigenes Bad mit Wanne und ein Doppelbett voller Decken und Kissen. Nice!
Nur das Mutter-Tochter Gespann das den Laden hier schmeißt ist etwas merkwürdig…
Tochter, etwa 40 Jahre alt, Leder-Minirock der etwa 2 Nummern zu klein ist für ihre Vollschlanke Figur. Dazu eine schwarze Bomberjacke, allerdings für das gewisse Extra mit Federn besetzt. Schulterlange, hell blondierte Haare und Sonnebrille runden das Outfit ab. (Seit 10min nach unserer Ankunft hat uns der nasse Nebel wieder eingeholt…)
Mutter, bummelig 60, grüne FFP2 Maske zu lila Kleid zu grau-blauer Schürze. Dazu Holzschuhe und nicht minder gefärbte Haare, etwas kürzer und dunkler als die ihre Tochter. Interessant.
Zum Abendessen bekomme ich einen riesigen Teller Salat, Pommes, Fisch und Tintenfischringe serviert, ich hatte gesagt das ich kein Fleisch esse. Die Mix-Platte beim Griechen ist mengenmäßig ein Witz dagegen. Beide Damen sprechen nur spanisch, wie immer hält das aber niemanden davon ab mich zuzusabbeln und eine Reaktion zu erwarten. Ich bin zum Essen alleine und alle 2 min kommt eine der beiden aus der Küche und will mit Lali herumtüddeln. Die beiden sind völlig vernarrt in sie, haben aber ein merkwürdiges Verhalten mit Hunden… statt streicheln wird hier die Hand auf den Kopf gelegt und dann „geschüttelt“, die muddi will Lali ständig hochheben obwohl sie da mit sichtlich Panik drauf regiert, die Tochter versucht irgendwie mehrfach ihr IN die Ohren zu fassen… meine Mahlzeit schlinge ich entsprechend zügig hinunter um Land zu gewinnen und meinen Hund nicht mehr permanent verteidigen zu müssen. Ich werde immer vehementer in meinem Abwehrreaktionen und merke mir fürs nächste mal - nur weil ich nicht unhöflich sein will muss ich meinem Hund nichts gefallen lassen, dass ich nicht will. Nächstes mal würde ich das noch früher abcanceln. Wir flüchten ins Bett, schlafen gut und legen am nächsten Morgen den Schlüssel vor die Tür und verschwinden ohne Gruß und Frühstück.
Der Dienstag beginnt mit Nieselregen und Nebel, ein bisschen mehr als gestern also. Aus dem Dorf heraus geht es auf einen wunderschönen Wanderweg. Er steigt sanft auf- und ab, wir sind ganz alleine und die Natur ist wunderschön. Ich bin jetzt schon traurig, dass wir die Berge nun langsam aber sicher verlassen werden, auch wenn meine Waden eine andere Sprache sprechen.
Wir passieren das ein oder andere Dorf und ich vermeide die ein oder andere Hundebegegnung durch „kschhh“ und in die Hände klatschen. In all diesen Dörfern laufen gut genährte Hütehunde frei durch die Gegend. Zum ersten Mal fällt mir an einer kleinen Bar ein Schild auf - dort steht man soll Hunde verjagen die einem länger folgen. Die meisten hätten ein zu Hause und würden unter Umständen nicht mehr zurück finden, wenn man sie mitlaufen lässt. Na Mensch. Gut zu wissen. Wie wäre es stattdessen mit „seinen Hund nicht den ganzen Tag unbeaufsichtigt durch die Gegend streunen lassen“? Revolutionäre Idee die hier aber wohl nicht so schnell auf Gegenliebe stoßen wird.
Wir wandern mal mehr mal weniger steil bergab auf meistens kleinen Wegen und erreichen nach 1,5 h eine größere Ortschaft. Hier begeben wir uns in die erste Bar die kein „Hunde verboten“ Schild draußen dran hat und für mich gibts Frühstück. Danach müssen die Regensachen endgültig an, der Niesel draußen wird stärker. Aus der Ort raus geht es dann etwa 3 km entlang einer Landstraße, bevor wir hinab in ein Geisterdorf steigen. Es ist leider wirklich genau das, das erste Dorf durch das wir laufen das wirklich komplett aufgegeben ist. Wirklich schade… alle Häuser sind alt und aus Schiefer. Manche noch in halbwegs gutem Zustand, andere kurz vor dem Zerfall. Die klassischen, langgezogenen Holzbalkone vorne dran sollte auf jeden Fall niemand mehr betreten. Es gibt einen kleinen, hübschen Dorfplatz, die Bäume und Blumen hier wuchern wild. Ein Fluss läuft durch das kleine Dorf, ein Kneipp-Becken liegt trocken daneben.
Hinter dem Dorf und einem kleinen Friedhof (ach, da sind die Dorfbewohner alle!) erwartet uns ein schmaler Pfad der (endlich mal wieder…) bergauf geht. Alles um uns herum ist grün, die Bäume treiben aus, alles blüht. Wir sind links und rechts von Hang, Bäumen, Mäuerchen eingekesselt.
Lali darf irgendwann den Mantel ausziehen und freut sich. Die Freude ist aber von kurzer Dauer - wir passieren einen Ort und ich überlege kurz den Pfeilern zur hiesigen Bar zu folgen, da sehe ich die schwarze Wand vor uns am Himmel. Also lieber noch ein paar Meter machen… entpuppt sich als blöde Idee, wir bekommen ein paar Minuten später den ersten kräftigen Guss des Weges ab und ich stelle mal wieder fest wie kacke die Passform meines Ponchos ist. Zum Glück ist das Aprilwetter maximal wechselhaft und so laufen wir bei leichtem Sonnenschein bergab in den heutigen Zielort. Es ist noch ein bisschen früh, also gibts Tortilla und osaft in einer Bar bevor wir in der Herberge einkehren.
Hier werden wir erwartet und herzlich begrüßt von Nouria, die gut englisch spricht und ein Futterpaket aus Good old germany für mich hat. (Danke Julchen 😘). Lali freuts, mich auch , gestern haben wir nämlich den letzten Rest Futter verbraucht. Nourias Hund „Boy“ ist etwas doppelt so groß wie Lali, 10 Jahre alt und die beiden spielen ein bisschen im Wohnzimmer. Das schicke Einzelzimmer hat wieder ein eigenes Bad und das Abendessen ist Gemüseeintopf mit Reis, Yay. Gemüse!! Und nichts frittiertes! 😅Ein weitere Pilgerer kommt dazu, ein Koreaner. Er hat nur 2 Wochen Urlaub, ist vor 3 Tagen losgelaufen, hat 31, 33 und heute 44 km gemacht. Sein Fuß blutet und er ist komplett im Eimer. Läuft bei ihm 😅
Lali und ich verziehen uns ins Bett und ich stelle fest, dass mein Budget sicherlich drastisch überzogen ist und wir die letzten Tage zu absoluten Luxuspilgern mutiert sind. Angesichts des Hagels und dem Sturm vor dem Fenster bin ich aber gerade froh über das schöne Bett mit dicker Decke anstatt des Zelts…
Wie der Mittwoch war, das tippe ich dann am Donnerstag ins Handy.
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