Time to walk on (and write on)

 Sooooo. Hat super geklappt mit dem direkt weiterschreiben und dem Bericht zum Wochenende. Eine Woche später sitze ich nun in meiner Küche und tippe diese Zeilen am Laptop. Das geht unfassbar viel schneller! Wenn dieses Kapitel heute also ein Roman wird - pardon. Die Geschichte von Lalis und Josis Jakobsweg möchte aber zu Ende erzählt werden. Ich hatte einfach keine Muße mehr zum Schreiben auf den lezten paar Etappen - ich wollte die Melancholie der restlichen Kilometer ein bisschen für mich genießen. Aber ich habe fleißig Notizen gemacht, um das Reisetagebuch im Nachhinein gebührend füllen zu können. Und: am Laptop kann man Fotos einfügen :)


Also, wo waren wir stehen geblieben? In einem kleinen Dorf namens Ligonde in einer Nacht mit strömendem Regen. 

Wie (fast) immer habe ich keinen Wecker gestellt und wir schlafen aus. Gegen kurz nach 8 muss Lali mal raus, wir laufen die grau gestrichene Holztreppe nach unten und bevor ich Lali nach draußen lasse werfe ich einen argwöhnischen Blick aus der Tür. Gestern Abend lief uns hier noch ein großer, GROßER Schäferhund über den Weg. Nun ist von dem aber nichts zu sehen, stattdessen regnet es fleißig auf unsere Köpfe. Nicht mehr so doll wie Nachts, aber immernoch kräftig. Ich beschließe, den Morgen gaaaaanz ruhig anzugehen und bereite erstmal das umfangreiche Frühstück, welches hier im Preis inklusive ist, zu: Es gibt 2 Orangen (wir sind 3 Leute) und ich bin egositisch und die erste. Also verarbeite ich die beiden mittels der bereitgestellten Saftpresse zu ungefähr einem doppelten Schnapsglas voll Saft, kleiner Vitaminshot am Morgen. Mittels eines Sandwichmakers erwärme ich 4 Scheiben weißestes Weißbrot, dazu gibts Butter und Marmelade aus den üblichen Plastik-Schälchen a la mittelgutes Hotelfrühstücksbuffet. Mit einem Topf jheißem Wasser mache ich erst Tee und dann den Abwasch, die beiden Brasilianer haben ihren stehen gelassen und ich weigere mich, den mitzumachen. 



Zurück in unserem kleinen Schlafzimmer werfe ich einen Blick auf die Etappenübersicht - noch etwa 49km trennen uns von Santiago, oh man, es rückt greifbar nah. Für uns 3 Tage, mit dem Auto ne Stunde, immer wieder motivierend diese Erkenntnisse (die google einem gerne ungefragt liefert). Im Schneckentempo packe ich alles zusammen und putze Zähne, mehr Beauty-Routine habe ich im Moment ja eh nicht. Die Brasilianer schlafen immernoch als ich meine Sachen nach unten trage. Als ich mir gerade noch die abgepackten Mini-Muffins in den Rucksack stopfe schlurfen die beiden die Treppe hinunter und suchen nach Kaffee :) Ich deute auf die Maschine und mache mich vom Acker. 

Draußen hat es aufgehört zu regnen, aber der Himmel ist grau und alles ist nass. Ich weigere mich aber, die Regensachen anzuziehen! In meinem Argwohn habe ich sie so eingepackt, dass ich an alles rankomme ohne den Rucksack absetzen zu müssen, aber es bleibt gefälligst trocken! Das langgezogene Dorf ist leer, zu unserem Glück auch frei von Hunden. Nach einem kleinen Rechtsschwenk geht es raus aus dem Dorf und direkt auf einen Trampelpfad, dieser mündet allerdings nach wenigen hundert Metern wieder in eine kleine (einspurige) Landstraße. Jene begleitet uns die Hälfte des Tages, es gibt immer einen optisch abgetrennten Fußweg und Lali und ich üben wieder fleißig das nicht-übetreten des Fußweges, damit sie die meiste Zeit ohne Leine laufen kann. Autos begegnen uns nur wenige, Pilgerer gar keine, 2 Radfahrer überholen uns nach einer Stunde und dem ersten Anstieg. Wo zur Hölle sind die alle? Laufen die bei Regenwetter nicht? Es ist niemand, wirklich niemand auf der Strecke und wenn nicht die Wegweiser hier und da Gewissheit bringen würden wäre ich mir sicher, dass ich falsch abgebogen bin und den Camino verlassen habe. 




Hupsi - das Alltagsleben hat mich mehr oder minder wieder, zack, noch ne Woche um. Aber ich wäre schon lieber wieder auf dem Camino und die Geschichte möchte noch zu Ende geschrieben werden. Also weiter im Text.

Durch das ein oder andere Dorf mit der ein oder anderen geschlossenen Gaststätte wandern wir, bis eine Bar am Weg offen hat. Ich habe Lali Tortilla versprochen und (vermutlich da wir die einzigen Gäste sind) sie darf problemlos mit rein, nur leider gibts keine Tortilla. Also gibts Tee, Kuchen und ein schlechtes Gewissen für mich und traurige Blicke von Lali. Vor der Tür stehen riesige Metall-Ameisen, aber die Kuchen Krümel von mir werden schon von Lali vernichtet. 




Als es weitergeht ist der Weg dafür breit und Straßenlos für ein paar Kilometer, Madame kann sich also austoben. Am Wegesrand in der nassen, grünen Landschaft stehen nun regelmäßig weiße, große Blumen und als der Weg breiter und breiter wird treffen wir tatsächlich auf einen anderen Pilgerer in voller Regenmontur. Spanier, ausnahmsweise mit Rucksack und leider ohne Englischkenntnisse, wir grüßen uns also kurz und laufen beide in Frieden weiter. Der grau geschotterte Weg wird nun fast lächerlich breit, hier hätten neben mir, Lali und 2000 anderen Pilgerern noch ganz entspannt 2-3 Mûmakil (die riesen-Elefanten Viecher aus Herr der Ringe), Moby Dick und der Troll aus dem Klo der heulenden Myrthe platz. Während es merklich bergab geht passieren wir einen Fußballplatz, den ich aufgrund der Geräuschkulisse aus der Entfernung fälschlicherweise für ein Dorffest halte. Ich möchte festhalten: spanische Eltern bei Fußballspielen ihrer kleinen bis mittelgroßen Kinder sind auch nicht weniger Brüllaffen am Spiefeldrand als deutsch Eltern in derselben Position. 



Für Lali und mich gehts nun in die letzte größere Ortschaft vor Santiago, ab hier wirklich nur noch Dörfer. Ich betrete nach wenigen Metern die erste (etwas dubios anmutende) Bar, aber alles andere in Sichtweite ist geschlossen und auf dem Schild vor der Tür ist ein Foto von Tortilla. Als ich den Rucksack gerade abgenommen habe, unter den argwönischen Blicken der Barfrau und den beiden Herren, die hier vor Mittag in aller Ruhe das erste Herrengedeck verzehren, fällt jener Barfrau Lali auf. Mit recht unfreundlichen Gesten macht sie mir klar, dass der Hund hier nicht erwünscht ist. Tja, eben kein Tortilla Geld für sie.

Zurück auf der Straße und auf der Suche nach dem Weg läuft ein Mann in grüner Jacke auf mich zu, während er lauthals mit sich selbst spricht. Er bleibt vor mir stehen und fragt mich nach Geld für Essen, auf spanisch aber er ist recht deutlich in seiner Gestik. Mir fallen seine fehlenden Zähne auf. Ich lehne die unfreiwillige Spende ab, zum einen weil er mir doch sehr merkwürdig und nicht wirklich wie ein Bedürftiger vorkommt, zum anderen weil ich selber kaum noch Bargeld habe und unsicher bin ob ich noch welches finden kann bis Santiago. Das könnte in den kleinen Käffern ein Problem werden... Er reagiert ungehalten und gestikuliert weiter auf seinen Mund. Da ich ein guter Mensch bin (sage ich jetzt einfach mal so) hiefe ich meinen gerade aufgesetzen Rucksack wieder runter und biete ihm den abgepackten Muffin an, den ich noch im Gepäck habe. Daraufhin wird er wütend und bedeutet mir mehr als deutlich, dass er mich gerne küssen würde. Ich schrecke zurück, mache ihm sehr deutlich dass er mir nicht zu nahe kommen soll und auch mein kleiner Pitbull ist sofort angespannt und bellt den unangenehmen Herren an. Der dreht sich glücklicherweise direkt um und verschwindet laut fluchend um die nächste Straßenecke, während ich beschließe das Mittagessen ausfallen zu lassen und Boden zwischen mich und diese unangenehme, ehrlicherweise auch wirklich hässliche Ortschaft zu bringen. 

Raus aus dem Städchen geht es vorbei an einer Brot-Fabrik und schließlich mehr oder minder entlang der Landstraße. Dabei schicke ich eine Nachricht an den asiatischen Briten und berichte ihm von meinem merkwürdigen Schok-Erlebnis, er ruft gleich an und erkundigt sich ob er die Polizei benachrichtigen soll. So schlimm ist es dann aber doch nicht, der Mann mit der grünen Jacke hat mir ja nichts getan und mich auch nicht körperlich bedroht - verbal auch nicht, denn wenn ich es nicht verstehe kanns mir egal sein 😉 Neben uns qualmen die Reste einer spanischen Brand-Restaurierung (aka Versicherungsbetrug) und ich bin einigermaßen beeindruckt das das scheinbar vor Stunden (Minuten?) noch in Vollbrand stehende Haus niemanden sonst interessiert. Ein Grund mehr, sich wieder in den Wald zu schlagen.



Steil bergauf geht es nur noch mit vereinzelten Häusern und schließlich an einem Wohnwagen-Platz vorbei. Mit Schildern bitten die Bewohner hier um Spenden und suchen nach Gleichgesinnten - ein deutsches Paar möchte sich hier eine Aussteigergesellschaft aufbauen, bietet Geistheilung an. Das ganze DIREKT am Jakobsweg, man läuft quasi durch deren Vorzelt. Ich könnte mir schöneres vorstellen, als einige Monate im Jahr täglich zwischen 8-12 Uhr einen Pulk an Wanderer durch mein Wohnzimmer latschen zu lassen, aber hey, soll ja jeder machen was er oder sie möchte. Madame und ich passieren eine große Landstraße, treffen ein Mutter-Tochter Gespann aus Süddeutschland im stolzen Alter von 54 und 78 und genießen dann den leeren Weg fernab der Straße für uns. Die herrliche Ruhe wird allerdings nicht mehr von langer Dauer sein - wir laufen durch eine Unterführung unter der Großbaustelle einer Autobahn durch, mitten im Nirgendwo. Da wir Wochenende haben sieht und hört man nichts und niemanden, aber ich würde n Euro wetten, dass das hier bald nicht mehr so idyllisch ist. 


Während ich noch so vor mich hin sinniere über die Zerstörung von Landschaft durch Straßen steigt mir zum allererstenmal ein intensiver Geruch in die Nase - Eukalyptus. Von den sagenumwobenen Eukalyptuswäldern hatte ich schon gehört, aber gerochen hatte ich sie noch nicht. Um uns herum stehen nur vereinzelt die passenden Bäume, aber jetzt im Frühling kann man sie intensiv riechen. Schön. Der Geruch erinnert allerdings auch meinen Magen daran, das wir heute noch quasi nichts vernünftiges gegessen haben. Glücklicherweise treffen wir im nächsten Dorf auf einen geöffnete Bar, aber irgendwie hab ich das Gefühl, noch ein Stück weitergehen zu müssen. Das Gefühl zahlt sich aus, am Ende des Dorfes erwartet uns eine hübsche Bar in einem restaurierten, grauen Steinhaus. Die Besitzer sind super nett, Lali darf sich vor den Kamin legen und jede von uns beiden bekommt ein eigenes Stück warme Tortilla :) Nach 20 Minuten gesellt sich das Mutter-Tochter Gespann zu uns und ich bestelle mir ein zweites Getränk und verbringe ein Stündchen späte Mittagspause vor dem Kamin. Sehr gerne hätte ich mir eins von den Fässern an der Wand im Gastrau mitgenommen... aber das liebe Gewicht hindert mich daran, mein Rücken hat eh in den letzten Tagen hier und da mal gezwickt. Der Betreiber holt später noch eine Liste unter dem Tresen hervor und fragt mich, ob ich schon weiß wo ich schlafen werde - er sammelt Adressen, wo Pilgerer mit Hunden übernachten dürfen. Super nett! Ich mache mir ein Foto, habe aber für heute Abend schon vor mehreren Tagen etwas auf booking gebucht. Das teuerste Zimmer auf der ganzen Route bisher, 60€, nur das Zimmer. Es gibt aber weit und breit nichts anderes und ich habe die Idee mit dem Zelten bei dem regnerischen, kalten und auch heute wieder echt windigen Wetter schon lange an den Nagel gehängt. 

Als wir die Bar verlassen erwarten uns draußen zwei Dorf Hunde. Einer von ihnen, groß, schwarz und mit sichtbar angegrautem Gesicht, stand zwischendurch schon regelmäßig in der Tür und wollte Lali begrüßen. Er hat einen Namen und wir hier scheinbar regelmäßig gefüttert, rein durfte er aber nicht. Er würde auch jetzt gerne freundlich hallo sagen und läuft ein kurzes Stück mit uns, ich gehe aber sicher, dass er Abstand hält. Hinaus aus dem Dorf geht es nun auf einen sehr schönen Abschnitt - der Weg schlängelt sich durch die Hügellanschaft, hier und da Mäuerchen und Zäune, Kühe und selten Felder. Der Eukalyptusgeruch steigt uns beiden wieder in die Nase und schließlich treffen wir auf den ersten echten Eukalyptuswald - wow! Ich weiß nicht wie es euch geht, aber ich wusste nicht, dass die Dinger so hoch werden. Kerzengerade und locker doppelt so hoch wie jede olle, knorrige deutsche Eiche stehen die Bäume ordentlich aufgereiht links und rechts des Weges. 

Schließlich geht es durch ein hübsches, ruhiges Tal hinuter in eine kleine Ortschaft, in der uns unser Hotel erwartet. Lali rennt begeistert die letzten Meter vorher den Hang hinab, spielt hier und da mit einem Blatt und ich bin froh, dass sie den Weg heute so gut mitgemacht hat - knappe 23 km müssen es bummelig gewesen sein. 
In dem kleinen Landhotel wird eine opulente Hochzeit im Nebenraum der Empfangsebene gefeiert und es dauert gute 10 Minuten bis jemand Zeit für mich zum Einchecken hat. Im Laufe des Abends stelle ich fest, dass neben 2 Hausdamen auch nur ein Kellner und eine Dame für alles im Dienst sind. Letztere ist auch die einzige die Englisch spricht und sie ist entsprechend gestresst. Abends betreut sie die Gesellschaft drinnen alleine, muss auf die bunt kostümierten Kinder aufpassen die zwischen den ausladend gekleideten, merklich angetrunkenen Hochzeitsgästen herumtoben und bringt außerdem das Essen aus der Küche im Haupthaus in die Bar, welche eine Art freistehender Wintergarten draußen ist. Wenn ichs nicht besser wüsste würde ich übrigens tippen, dass es eine Sinti/Roma Hochzeit war - einschlägige YouTube Dokumentationen haben mich einiges darüber gelehrt und die Kleiderwahl, die Deko, der Dialekt, es wirkte alles so. Spannend! Ich hätte gerne ne Runde mitgetrunken und bin mir sicher, ich wäre willkommen gewesen, aber ich bin k.o. und will duschen. 

Die Dame für alles lässt mich in mein überzogen teures Zimmer - dies ist ungefähr im Empfangstresen. Direkt gegeüber, um genauer zu sein. Während alle anderen Zimmer über Flure und Treppenhäuser in dem großen, dunklen Landhaus abgehen, ist das "Hundezimmer" quasi im Durchgang. 
Naja, seis drum. Es gibt ne heiße Dusche und saubere Handtücher, das Zimmer ist dunkel und rustikal, mit schweren, rot-gold bestickten Decken und passenden Nachttischlampen. Wir machen einen Nachmittagsschlaf, bevor wir gegen 19 Uhr rüber in den Wintergarten wandern. 

Das Menü ist wie so oft 100% fleischlastig, also entscheide ich mich für Kartoffeln mit Kartoffeln und Salat. Pommes mit Tortilla. Letzteres kann man ja eh nie genug essen. Als ich gerade mein Essen bekomme, an einem kleinen Tisch neben der Bar an der einige ältere spanische Herren sitzen und Wein trinken, betreten 2 Holländer den Wintergarten. Noch so ein Gespann, Vater und Sohn, 50 und ü70. Die beiden bestellen Getränke, setzen sich zu mir, ordern mir noch einen Wein und wir haben spannende Gespräche. Der Sohn arbeitet in Holland im Gesundheitswesen und hat spannende Eindrücke, der Vater hat gefühlt schon alles gemacht in seinem Leben und beide sind einfach angenehme, lustige Gesprächspartner. Zwischenzeitlich betritt ein Franzose mit einer Spanierin den Gastraum und die beiden lassen sich auf der anderen Seite an der Fensterfront nieder. Als er Lali entdeckt ruft er verzückte Lockrufe durch den Raum und ich lasse Lali schließlich hingehen, da er nicht aufgibt. Sie setzt sich neben seinen Stuhl und lässt sich kraulen, er ist so begeistert das er aufsteht und sich zu ihr auf den Boden setzt. Ich unterhalte mich weiter mit den Holländern und denke mir nichts weiter, als ich meinen Hund quietschen höre - der Franzose hat beschlossen es wäre in Ordnung sie hochzuheben und wie eine Handtasche unter den Arm zu klemmen. Entschuldigung? Was geht in den Köpfen solcher Menschen vor. Ich bin sofort auf 180, die Holländer gucken verwirrt und der Franzose lacht, als ich ihm Lali aus den Händen reiße. Mein Französisch mag nicht mehr gut sein, aber was Arschloch heißt weiß ich noch. Pissnelke! Ich zahle und beschließe, dass der Abend lang genug war. Ab ins Bett! Die Holländer wollen morgen den Bus nehmen und dafür die Zeit nutzen am Ende noch bis Finisterra zu laufen. Schade, mit denen wäre ich glatt ein Stück gelaufen. 

So - ich gewöhne mir hiermit ab zu versprechen, dass es morgen weitergeht mit den letzten Kapiteln, aber es wird weitergehen, das verspreche ich :) 











Kommentare